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Beitrag vom 19.09.2011
Der Traum lebt mein Leben zu Ende. Das Leben der Dichterin Rose Ausländer. Auf DVD
Nina Breher
Wer ist diese Frau, der nach dem Holocaust die Sprache zur einzigen Heimat wurde? Katharina Schubert begibt sich auf die Spuren des Lebens einer großen Dichterin und zeigt Bilder von heute,...
...unterlegt mit Rose Ausländers (1901-1988) Lyrik.
Eine zerbrechliche, aber auf wundersame Weise dennoch starke Stimme spricht aus dem Off über ihre Kindheit: "In jedem Winkel / war ein Wunder untergebracht." Es sind Aufnahmen der Stimme von Rose Ausländer selbst. Die Kamera unterlegt sie mit Bildern von Czernowitz, der traditionellen Hauptstadt der Bukowina, die bis 1918 zu Österreich-Ungarn gehörte, dann von Rumänien annektiert wurde, anschließend zur UDSSR gezählt wurde und heute in der Ukraine liegt. Es war die Heimat der Jüdin Rose Ausländer, die zu den bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gezählt wird. Nach dem zweiten Weltkrieg, den sie unter den widrigsten Umständen in einem Keller im Czernowitzer Ghetto überlebt, sind viele ihrer FreundInnen ermordet und die jüdische Kultur der Stadt zerstört. Die damals 43-jährige verlässt die "Landschaft, die (sie) erfand" ("Bukowina II") – und wird fortan nirgendwo mehr eine örtliche Heimat finden.
"Mein Vaterland
ist tot
sie haben es begraben
im Feuer
Ich lebe
in meinem Mutterland
Wort"
Sie ist Heimatlose, Getriebene, Verlassene, aber keine Verlorene. "Ein Leben im Wort", der Arbeitstitel des Films, drückt es bereits aus: Die Sprache ist Ausländers einzige Zuflucht. Sie nimmt sie während des ersten Weltkriegs mit nach Wien, New York und wieder zurück in die alte Heimat Czernowitz. Als ihr damaliger Lebenspartner Helios Hecht den Versuch unternimmt, ihre Sprache zu enteignen, indem er ihre Gedichte ohne ihr Wissen veröffentlicht, verlässt die damals 34-jährige ihn. Die Sprache ist ihr wertvollstes Gut, ihr treuester Begleiter: "Und das Wort / ist unser Traum / und der Traum / ist unser Leben." ("Am Anfang")
1940 begleiten ihre Worte sie mit ins Gefängnis - sie wurde der Spionage verdächtigt. Und schließlich landet sie im Czernowitzer Ghetto, wo sie einer anderen großen Stimme des Holocausts begegnet – Paul Celan. Ausländers Gedichte sind anders als seine, und doch erscheinen sie aus heutiger Perspektive seltsam miteinander verwoben in den Motiven und in dem Stocken, das sie produzieren.
Ausländer überlebt die Zeit des Nationalsozialismus wie durch ein Wunder und kehrt nach New York zurück, wo sie bis 1956 nur noch auf Englisch dichten kann – will. Doch schließlich holt Ausländer die Sprache zurück zu sich, sie erobert sie zurück. Die Inhalte ihrer Lyrik bleiben zwar dieselben, doch Form und Stil haben sich durch das Erlebte entscheidend verändert. Letztendlich kehrt sie 1963 zurück in den deutschsprachigen Raum, erst nach Wien, dann nach Düsseldorf.
In "Der Traum lebt mein Leben zu Ende" nimmt uns die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Regisseurin Katharina Schubert mit an die verschiedenen Orte, an denen Ausländer lebte, aber mental obdachlos blieb. Ihre Worte begleiten die Filmaufnahmen und beweisen die Zeitlosigkeit ihrer Gedichte. So entstehen phänomenale Aufnahmen der New Yorker Subway oder des heutigen Czernowitz´, die ohne die Untermalung mit Lyrik banal wären, in Verbindung mit ihr aber Gänsehaut auslösen. Ohne sich in Interpretationen zu verlieren gelingt es dem Film auf diese Weise, die ungeheure Wortgewalt der bildhaften Sprache einer großen Dichterin zu würdigen.
Ob ihre letzten Lebensjahre im Nelly-Sachs-Haus in Düsseldorf in selbst verhängter Bettruhe von Stärke zeugt oder zu bedauern sind, bleibt dem/der BetrachterIn überlassen. In jedem Fall ist die kreativste Zeit Rose Ausländers. Freiwillig isoliert von der Außenwelt überarbeitet sie alte Gedichte und schafft bis zum Jahre 1986 neue. Ausländer ist eine der wenigen LyrikerInnen, die ihrem Werk bewusst ein Ende setzt und es als abgeschlossen erklärt.
AVIVA-Tipp: Der Dokumentarfilm berichtet nicht nur über das aufwühlende und bislang nicht hinreichend erforschte Leben von Rose Ausländer, sondern führt zugleich in ihre Dichtung ein. Eine Verbindung von Biographie und Werk ist nicht immer eine glückliche, doch hier gelingt sie bestens.
"Ich schreibe mich
ins Nichts
es wird mich ewig
aufbewahren."
Der Traum lebt mein Leben zu Ende
Das Leben der Dichterin Rose Ausländer
Deutschland 2010
90 Min., Farbe und s/w
PAL, Format: 16:9
Sprache: deutsch
Regie und Drehbuch: Katharina Schubert
Mitwirkende: Rose Ausländer, Peter Rychlo, Tilde Schottenfeld, Helmut Braun
Verleih: Basis-Film Verleih Berlin
FSK: keine Altersbeschränkung
19,90,- Euro
www.basisfilm.de
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Quellen: www.fembio.org, www.pkgodzik.de, www.drag.ch, www.basisfilm.de